„Wir sollten dringend intersektionale Bildung und vor allem Rassismuskritik ernst nehmen.“ Fünf Fragen an Christina Brüning

Christina Brüning ist Professorin für Didaktik der Geschichte an der Philipps-Universität Marburg. Aktuell forscht sie in Projekten an der Schnittstelle von politischer Bildung, Antisemitismuskritik, Gender Studies und Postkolonialer Theorie in der Lehrkräftebildung. Dabei setzt sie auf interdisziplinäre Kooperationen. Sie fordert, intersektionale Bildung ernst zu nehmen, den Status quo zu überprüfen und der Frage nachzugehen, wie politische Bildung in unserer heutigen Gesellschaft aussehen kann.


Portraitfoto zeigt Prof. Dr. Christina Brüning

Prof. Dr. Christina Brüning (Foto privat)

Christina Brüning ist Professorin für Didaktik der Geschichte an der Philipps-Universität Marburg. Aktuell forscht sie in Projekten an der Schnittstelle von politischer Bildung, Antisemitismuskritik, Gender Studies und Postkolonialer Theorie in der Lehrkräftebildung. Dabei setzt sie auf interdisziplinäre Kooperationen. Sie fordert, intersektionale Bildung ernst zu nehmen, den Status quo zu überprüfen und der Frage nachzugehen, wie politische Bildung in unserer heutigen Gesellschaft aussehen kann.

 

1. Was ist Ihr aktuelles und was war Ihr letztes Forschungsprojekt zur politischen Bildung?

Aktuell arbeite ich u.a. im Forschungsprojekt „Politics of Gender“. Hier gehen wir Deutungsmustern von Lehrenden und Lernenden zu Emanzipation, (Anti-)Feminismus, Gender und Transfeindlichkeit auf den Grund. Wir, das sind ich und zwei Kolleginnen der Universität Marburg: Prof.in Susann Gessner (Didaktik der politischen Bildung) und Dr.in Inga Nüthen (Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung). Das Projekt knüpft an unser Kooperationsseminar zu feministischen Perspektiven auf historisch-politische Bildung an und wird gefördert durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst.

Ein Beispiel aus dem Sommer 2022 ist das Lehr- und Forschungsseminar „Decolonize Teacher Education?! Wieviel postcolonial studies brauchen die gesellschaftswissenschaftlichen Didaktiken?” Es hat den Lehrpreis der Universität Marburg sowie den Preis des Stifterverbandes (Hochschulperle des Monats April 2023) erhalten. Aktuell bereiten wir daran anschließend einen Sammelband vor und haben ein größeres Forschungsprojekt zum Zusammenhang von Holocaust und Genocide Education weltweit über das hessische Forschungsförderprogramm LOEWE bewilligt bekommen. Es stehen also mehrere Arbeitszusammenhänge unter dem gemeinsamen Oberthema „Multidirectional Memory in postkolonialen Erinnerungsgemeinschaften“. Es geht dabei um Analysen ganz unterschiedlicher erinnerungskutureller Gemeinschaften und ihren jeweiligen memory arenas in einem transnationalen Vergleich. Dabei fragen wir, was historisch-politische Bildung in den verschiedenen Ländern und Kontexten ausrichten will und kann. Wir hoffen, dass unser Ansatz des Sich-lösens aus dem eurozentrischen und ‚weißen‘ Denkrahmen uns hilft, eigene Perspektiven zu überdenken und antisemitimuskritische sowie rassismuskritische Arbeit zukunftsfähig aufzustellen.

2. Welche Ihrer Forschungsergebnisse halten Sie für besonders relevant für die Praxis politischer Bildung?

Ich bin fest davon überzeugt, dass zukunftsfähige Bildung, sich nicht im Klein-Klein der Fachkulturen verlieren darf, insbesondere wenn sie helfen möchte, Menschen zu emanzipierten, mündige Bürger*innen und Demokrat*innen zu bilden. Deshalb setze ich schon immer auf eine enge Verbindung mehrerer gesellschaftswissenschaftlicher Didaktiken und erweitere den Kreis neben der historisch-politischen Bildung um sprachen- und fremdsprachendidaktische Überlegungen sowie Kolleg*innen aus der Religions- und Migrationspädagogik. Forschungsergebnisse, die in interdisziplinären Kooperationen entstanden sind, sind meines Erachtens breiter wirksam und relevanter. Hier ist die Lehrer*innenbildung ein besonders positives Beispiel, bei dem die Kolleg*innen aus ganz unterschiedlichen Fachkulturen (meist) gemeinsam an einem Strang ziehen.


3. Welche Themen im Kontext politischer Bildung sollten Ihrer Meinung nach beforscht werden?

Ich persönlich finde, wir sollten dringend intersektionale Bildung und vor allem Rassismuskritik ernst nehmen. Wir müssten alles (Rahmenlehrpläne, Schulbücher, Lehrendenkommunikation usw.) auf den Prüfstand stellen und uns fragen, wie eine historisch-politische Bildung im Zeitalter postkolonialer und multidirektionaler Erinnerungspraxis aussehen soll –  auch vor dem Hintergrund einer durch Migration geprägten, hyperdiversen Gesellschaft.

 
4. Welchen Gewinn für die politische Bildung kann ein Dialog von Wissenschaft und Praxis bringen sowie ein Austausch sowohl zwischen den Wissenschaftsdisziplinen als auch innerhalb dieser?

Wir stehen in enger Kommunikation nicht nur mit angehenden, sondern auch mit praxiserfahrenen Lehrkräften. Lehrer*innenbildung ist per se Transfer. Der gegenseitige Gewinn eines solchen Dialogs zwischen Wissenschaft und Praxis liegt meines Erachtens auf der Hand.

 

5. Die Fachstelle politische Bildung hat eine Landkarte der Forschung zur politischen Bildung entwickelt, um Austausch und feldübergreifende Zusammenarbeit zu fördern, zwischen und innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen sowie zwischen Wissenschaft und Praxis. Sie sind dort mit einem Eintrag vertreten. Über welche Kontaktaufnahmen oder Anfragen anderer Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen oder sonstiger Interessierter würden Sie sich freuen?

Ich freue mich über weitere Menschen, die zu Themen arbeiten, die ähnlich wie meine gelagert sind oder in den Bereichen aktivistisch tätig sind: Rassismuskritik und postcolonial studies, aktuelle und vergangene Erscheinungsformen von Antisemitismus, Zeitgeschichte und Erinnerungskultur, Auswirkungen der Digitalisierung auf historisches Lernen, sprachsensibler Unterricht und durchgängige Sprachförderung, Bilinguales Lehren und Lernen, Gender Studies, Protest- und Bewegungsforschung.


Veröffentlicht am 22.02.2024

 

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